Abtretung einer Direktversicherung aus der betrieblichen Altersversorgung
Bei einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG unterliegt die Abtretung des mit dem Eintritt des Versorgungsfalles fälligen Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht dem Verbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG, der seit seinem Inkrafttreten insoweit im Wesentlichen unverändert gilt, darf der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe darf der Rückkaufswert aufgrund einer Kündigung des Versicherungsvertrags nicht in Anspruch genommen werden; vielmehr wird der Vertrag im Falle einer Kündigung in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt (§ 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG).
Durch diese Bestimmungen soll im Rahmen des rechtlich Möglichen die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten bleiben, das heißt verhindert werden, dass der Arbeitnehmer die Anwartschaft liquidiert und für andere Zwecke verwendet1. Mit diesen Verfügungsbeschränkungen korrespondiert ein Pfändungsverbot, § 851 Abs. 1 ZPO2.
Allerdings gilt die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG nicht mehr, wenn die Versorgungsanwartschaft zum Vollrecht ersta rkt ist3. Die Norm enthält keine gesetzgeberische Entscheidung darüber, in welchem Um fang der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalles tatsächlich in den Genuss der Alterssicherung kommen soll. Ist der Versorgungsfall eingetreten, richtet sich der Schutz des Schuldners nicht mehr nach § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG, sondern nach den allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften4. Demgemäß ist der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung vor Eintritt des Versicherungsfalles als zukünftige Forderung pfändbar5. Daraus folgt zugleich, dass § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG auch einer Vorausabtretung dieses Anspruchs durch den mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmer nicht entgegensteht6.
Soweit hiergegen unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz7 eingewendet wird, dass ein derart eingeschränktes Verständnis des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG weder mit dessen Wortlaut noch Zweck zu vereinbaren sei, trifft dies nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht zu.
Das Recht auf den Rückkaufswert ist zwar nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme. Gleichwohl sind der Anspruch auf die Versicherungsleistung im Versicherungsfall und der Anspruch auf den Rückkaufswert nach Kündigung aber keine Teile eines einheitlichen Anspruchs, sondern zwei getrennte Ansprüche8. Vor diesem Hintergrund legt anders als die Revision meint bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG mit seiner Bezugnahme auf das Deckungskapital nahe, dass der Abtretungsausschluss nicht sämtliche vertraglichen Ansprüche betrifft, sondern in zeitlicher Hinsicht auf den Schutz der Anwartschaft abzielt. Eben dies war vom Gesetzgeber beabsichtigt9 und gerade deshalb wurde § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG um die Beschränkung des § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG ergänzt10. Wortlaut, Systematik und Zweck verdeutlichen damit, dass ein allumfassender Schutz der Versorgung des Arbeitnehmers mit den Bestimmungen in § 2 Abs. 2 BetrAVG nicht verbunden ist, sondern dessen Verfügungsmacht nur in bestimmter Hinsicht sachlich beschränkt wird11. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Koblenz12, die Anwartschaft dürfe dem Versicherungsnehmer nicht lediglich als leere Hülle verbleiben, schützt § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG den Arbeitnehmer nach dem vom Gesetzgeber gewählten Regelungskonzept nicht davor, dass mit dem Erstarken der Versorgungsanwartschaft zum Vollrecht tatsächlich nicht er, sondern aufgrund vorangegangener Abtretung der Zessionar in den Genuss der Versicherungssumme kommt13.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus rechtlichen Unterschieden zwischen einer Vorausabtretung und einer Pfändung14. Vielmehr besteht grundsätzlich ein Gleichlauf von Abtretungsund Pfändungsverboten. Gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist15. Umgekehrt kann eine Forderung nach § 400 BGB nicht abgetreten werden, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Mai 2020 – IV ZR 151/19
- BGH, Urteil vom 08.06.2016 – IV ZR 346/15, VersR 2016, 974 Rn. 28; BGH, Beschluss vom 11.11.2010 – VII ZB 87/09, VersR 2011, 371 Rn. 6 [↩]
- BGH, Beschluss vom 05.12.2013 – IX ZR 165/13, VersR 2014, 487 Rn. 2 [↩]
- BGH, Beschluss vom 23.10.2008 – VII ZB 16/08, NJW-RR 2009, 211 Rn. 9; Rolfs in Blomeyer/Otto/Rolfs, BetrAVG 7. Aufl. § 2 Rn. 279; Krois, EWiR 2011, 169, 170; ebenso zu § 97 EStG Dietzel, NZI 2018, 164; Fischer in Kirchhof, EStG 19. Aufl. § 97 Rn. 2 [↩]
- BGH, Beschluss vom 20.12.2018 – IX ZB 8/17, VersR 2019, 571 Rn. 23 m.w.N. [↩]
- BGH, Beschlüsse vom 11.12.2014 – IX ZB 69/12, VersR 2015, 498 Rn. 8; vom 11.11.2010 – VII ZB 87/09, VersR 2011, 371 Rn. 8 ff. [↩]
- so neben Saarländischem OLG, Urteil vom 08.05.2019 5 U 75/18, VersR 2019, 1038, auch OLG Stuttgart NJW RR 2019, 1175 Rn. 28 ff. [↩]
- OLG Koblenz, Urteil vom 12.10.2012 10 U 1151/11 34 ff. [↩]
- BGH, Urteil vom 28.04.2010 – IV ZR 73/08, BGHZ 185, 252 Rn. 37; BGH, Beschluss vom 20.12.2018 – IX ZB 8/17, VersR 2019, 571 Rn. 21 [↩]
- vgl. BT-Drs. 7/1281 S. 23 und 26 [↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 08.06.2016 – IV ZR 346/15, VersR 2016, 974 Rn. 28; BT-Drs. 7/2843 S. 7 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2016 aaO Rn. 21 ff. [↩]
- OLG Koblenz, aaO Rn. 38 [↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2018 aaO Rn. 23 [↩]
- so aber OLG Koblenz, Urteil vom 12.10.2012 10 U 1151/11 36 ff. [↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.12.2018 – IX ZB 8/17, VersR 2019, 571 Rn.20; vom 11.11.2010 – VII ZB 87/09, VersR 2011, 371 Rn. 7 [↩]